Neuentwicklung macht lichtbasiertes Rechnen fit für die künstliche Intelligenz
Meilenstein fürs Rechnen mit Licht: US-Forscher haben erstmals einen Photonik-Prozessor entwickelt, auf dem gängige KI-Systeme laufen können. Er ist das erste lichtbasierte System, das direkt in bestehende Rechnerarchitekturen integriert werden kann. In ersten Tests war der Photonik-Prozessor bereits ähnlich schnell und präzise wie ein moderner Nvidia-Grafikprozessor – benötigte aber deutlich weniger Energie. Das System eröffnet damit neue Wege zu effizienterer künstlicher Intelligenz, wie das Team in „Nature“ berichtet.
Die rasanten Fortschritte in der künstlichen Intelligenz bringen die elektronische Computertechnik an ihre Grenzen. Denn die Transistoren und Schaltkreise der gängigen Prozessoren lassen sich kaum noch weiter optimieren und verkleinern. Gleichzeitig benötigen moderne KI-Modelle für Training und Betrieb eine immer höhere Rechenleistung – und das frisst mit gängiger Technik enorme Mengen Energie.
Als eine potenzielle Lösung für dieses Problem gilt schon länger das lichtbasierte Rechnen – die Photonik. Denn anders als digitale Systeme arbeiten photonische Chips analog und massiv parallel: Die Rechenoperationen werden nicht über Elektronen, sondern durch Laserpulse verschiedener Intensität und Wellenlängen kodiert – und diese können gleichzeitig im selben System verarbeitet werden, ohne dass es zu Störungen kommt.

Photonik-Prozessor für neuronale Netzwerke
„Bisher hat jedoch kein Photonik-Chip die Präzision erreicht, die für praktische KI-Anwendungen benötigt wird“, erklärt Nicholas Harris, Seniorautor und CEO des US-Startups Lightmatter. „Frühere Demonstrationen waren auf stark vereinsfachte Benchmark-Tests begrenzt.“ Für fortgeschrittene künstliche Intelligenz auf Basis großer KI-Modelle reichten die Leistungen nicht aus, zudem haperte es an der Integration der photonischen Bauteile in bestehende Rechner- und Serverarchitekturen.
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Das hat sich nun geändert: Harris und sein Team haben erstmals einen Photonik-Prozessor entwickelt, auf dem auch komplexere künstliche Intelligenz laufen kann. „Unseres Wissens nach ist dies der erste photonische Prozessor, der neuronale Netzwerke der neuesten Generation ohne spezielle Modifikationen ausführen kann – darunter generative Transformer-Modelle, Netzwerke für die Klassifikation und Segmentierung sowie Algorithmen mit Reinforcement-Lernen“, sagt Harris.

So schnell wie ein Nvidia-Grafikprozessor…
In ersten Tests erzeugte beispielsweise das generative KI-Modell „Nano-GPT“ Texte im Stil von Shakespeare, eine weitere KI klassifizierte Filmkritiken nach ihrem Inhalt als positiv oder negativ. Andere auf neuronalen Netzwerken basierende KI-Systeme mit bis zu 20 Millionen Parametern kategorisierten Bilder oder spielten das Computerspiel PacMan. Die Genauigkeit und Treffsicherheit der Antworten lag dabei je nach Aufgabe zwischen 30 und 90 Prozent.
In puncto Geschwindigkeit erweist sich der Photonik-Prozessor bereits als konkurrrenzfähig: Er erreichte bei diesen Aufgaben eine Rechenleistung von 65,5 Billionen Floating-Point-16-Bit-Operationen pro Sekunde. Der neue Photonik-Prozessor ist damit dreimal schneller als ein A100-Grafikprozessor von Nvidia und vergleichbar mit dem aktuellsten GPU-Modell H100 des Marktführers, erklärt der nicht an der Studie beteiligte Photonik-Forscher Mario Chemnitz von der Universität Jena.
…aber energieeffizienter
Das Entscheidende jedoch: Das lichtbasierte Computerbauteil benötigte für seine Leistung deutlich weniger Energie als ein gängiger Grafikprozessor: Harris und sein Team beziffern den Energieverbrauch auf 78 Watt an Strom und 1,6 Watt Lichtleistung. „Umgerechnet hat der photonische Prozessor damit eine Energieeffizienz von rund 1,22 Picojoule pro 16-Bit-Operation“, erklärt Chemnitz. Das sei um den Faktor zehn energieeffizienter als die A100-GPU von Nvidia.
„Zum ersten Mal in der Computergeschichte haben wir hiermit eine nicht auf Transistoren basierende Technologie demonstriert, die komplexe, realitätsnahe Arbeitsaufgaben ähnlich präzise und effizient erledigen kann wie existierende elektronische Systeme“, so Harris. Anders als frühere Photonik-Ansätze sei der neue, mit Licht rechnende Prozessor nicht nur ein Labor-Prototyp, sondern ein voll einsatzfähiges, effizientes System.

Der Aufbau: Photonik und Elektronik kombiniert
Möglich wird das Ganze durch eine Prozessor-Architektur, die photonische und elektronische Bauteile nahtlos miteinander verknüpft. Kern des Prozessors bilden sechs siliziumbasierte Photonik-Chips, die die eigentlichen Rechenoperationen durch analoge Lasersignale absolvieren. Diesem lichtbasieren Prozessorkern sind elektronische Steuermodule vorgeschaltet, die digitale Signale in optische übersetzen und beispielsweise die beim Training der KI entstehenden Gewichtungen zurück an die KI übertragen.
„Mit unserem Ansatz ist es nicht nötig, existierende Infrastruktur und Algorithmen anzupassen“, erklärt Harris. “Unser pragmatischer Ansatz ähnelt damit der Entwicklung anderer transformativer Technologien: Frühe Grafikprozessoren haben die Computerprozessoren nicht ersetzt, sondern zunächst nur ergänzt, indem sie Grafikaufgaben übernahmen.“ Erst später wurden die GPUs dann auch für allgemeine Rechenleistungen eingesetzt – erst von Krypto-Minern, dann in der künstlichen Intelligenz.
„Auf ähnliche Weise könnten Photonik-Prozessoren erst als spezialisierte Beschleuniger für KI-Aufgaben dienen, bevor sie dann breitere Anwendung finden“, so der Lightmatter-CEO.
„Meilenstein der Computertechnologie“
Nach Ansicht von Harris und seinem Team repräsentiert ihr Photonik-Prozessor einen Meilenstein der Computertechnologie. Denn er eröffne einen Weg zu Fortschritten, die nicht mehr nur auf dem Skalieren von Transistoren beruhen. Ein Vorteil des neu entwickelten Photonik-Prozessors ist dabei auch, dass er mit gängigen Methoden der modernen Chipfabriken produziert werden kann.
„Hier wurde der gewagte Versuch in die Praxis umgesetzt, die schnellen und energieeffizienten analogen Signalverarbeitungsmethoden im optischen Bereich mit der elektronischen Digitaltechnik zu verknüpfen“, kommentiert Damian Dudek vom Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik e.V. (VDE). „Das ist ‚High-Tech‘ der aktuellsten Art, bei der man sich der Fertigungsmethoden von integrierten Halbleiterschaltungen bedient und neue Wege hinsichtlich einer größeren Energieeffizienz geht.